Die Wirtschaft floriert, Steuereinnahmen steigen. Konträr dazu entwickelt sich das Armutsrisiko – vor allem Kinderarmut und Altersarmut – zu einem immer größeren Problem in Deutschland und leider auch in Bielefeld.
Die Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft „Regionale Armut in Deutschland. Risikogruppen erkennen, Politik neu ausrichten“ von 2017 zeigt: Das Armutsrisiko ist für Bielefelder*innen relativ hoch.
- Nach wie vor wächst fast jedes vierte Kind in unserer Stadt in einer SGB II-Bedarfsgemeinschaft auf. Das gilt vor allem für Kinder alleinerziehender Eltern, für Kinder mit mindestens zwei Geschwistern und für Kinder mit gering qualifizierten Eltern.
- Mit dem Bildungs- und Teilhabepaket versucht der Staat gegen die steigende Kinderarmut anzugehen. Die finanzielle Unterstützung für Schulbedarf, Klassenfahrten, Verpflegung und Lernförderung, Mitgliedsbeiträge in Vereinen etc. packt aber nicht die Ursachen der Kinderarmut. Die Beantragung dieser Mittel ist darüber hinaus von hohen bürokratischen Hürden geprägt – mögliche Zuschüsse werden oftmals nicht abgerufen.
- Über 2.700 Bielefelder Bürger*innen über 65 Jahren – mehr als 4% – beziehen Leistungen zur Grundsicherung, weil die Rente nicht reicht – und die Dunkelziffer ist deutlich höher.
- Langzeitarbeitslose haben bis jetzt kaum vom wirtschaftlichen Aufschwung profitiert: Weiterhin lebt fast jeder siebte Bielefelder in Bedarfsgemeinschaften nach dem SGB II.
- Viele Menschen sind so genannte Aufstocker: Der in der Arbeit erzielte Lohn reicht nicht aus – Transferleistungen müssen zusätzlich beantragt werden. Wegen der Berufstätigkeit entfällt jedoch vielfach die Möglichkeit, Zuschüsse zu beantragen oder Vergünstigungen zu erhalten.
- Materielle Armut geht oft einher mit Bildungsarmut und Teilhabearmut, d.h. arme Menschen ziehen sich eher zurück, nehmen weniger am kulturellen und sozialen Leben teil.
- Armut wird vererbt. Nach wie vor hängt der Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen entscheidend vom sozialen Status und dem Bildungsgrad der Eltern ab. Von Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche sind wir weit entfernt.
- Der Gang zur Tafel, auf Flohmärkte, zur Schulkramkiste ist für Betroffene mittlerweile erschreckend selbstverständlich.
Was sind die Ursachen?
Die Ursachen von Armutsrisiken und Armut sind vielfältig. Mitentscheidend für das vergleichsweise hohe statistische Armutsrisiko in Bielefeld ist laut Institut der deutschen Wirtschaft die „relativ hohe Ungleichheit“. Das sei typisch für Großstädte, in denen vergleichsweise viele Arbeitslose, Migranten und Alleinerziehende leben. Diese drei Gruppen seien am stärksten betroffen vom Armutsrisiko.
Als unveränderbar hinzunehmen ist diese Einschätzung nicht. Auch wenn die meisten finanziellen Regelsätze in der Verantwortung von Land oder Bund stehen, gibt es durchaus Handlungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene, um das Armutsrisiko zu senken.
Was ist zu tun?
So vielfältig wie die Ursachen steigender Armut müssen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Ursachen und Auswirkungen sein.
Unter anderem ist aus Sicht der AGW auf kommunaler Ebene notwendig und möglich:
- Zuzahlungen zu Mietkosten durch Anpassung der KdU-Sätze (Kosten der Unterkunft) verhindern.
- Mobilität als wichtigen Teilhabefaktor fördern. Das Sozialticket muss auf Dauer abgesichert werden und deutlich günstiger sein als das normale Ticket.
- Arbeitsmarktliche Förderinstrumente intensiv nutzen, um auch langzeitarbeitslose Menschen dauerhaft und nachhaltig in Beschäftigung zu bringen. Ein dauerhafter zweiter Arbeitsmarkt muss etabliert werden.
- OGS-Gebühren für Menschen im Transferleistungsbezug und in niedrigen Einkommensgruppen abschaffen. Hinsichtlich der Kita-Gebühren ist ein erster Schritt in die richtige Richtung bereits beschlossen.
- Den Zugang zu Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes vereinfachen, bürokratische Hürden so weit wie rechtlich möglich abbauen.
- Aufklärung darüber, wo welche Leistungen zu beantragen sind, zielgruppenspezifisch intensivieren. Scham oder Unkenntnis verhindern vielfach, dass berechtigte Leistungsansprüche geltend gemacht werden.
- Professionelle Unterstützungsstrukturen, die Teilhabe armer Menschen dauerhaft ermöglichen, absichern.
Armut ist (k)ein Tabuthema.
Armut geht nicht nur einige wenige an.
Armut verhindert Chancengleichheit.
Bielefeld ist mit vielen Ansätzen zur Bekämpfung der Ursachen und Auswirkungen von Armut bereits auf einem guten Weg. Es gilt, Kräfte und Ideen zu bündeln für langfristige und nachhaltige Strategien zur Bekämpfung der Armut. Die AGW wird ihren Beitrag dazu leisten.